Artikel 2 abs 1 gg
Nach ganz h.M. garantiert Art. 2 Abs. 1 GG die allgemeine Handlungsfreiheit im umfassenden Sinne. Unter Berufung auf Art. 2 Abs. 1 GG kann danach jeder „tun und lassen, was er will“.Artikel 2 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland
Der Artikel 2 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland gehört zum ersten Abschnitt (Grundrechte). Dieser garantiert das Richtig auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, auf Leben, an körperliche Unversehrtheit und schützt die Freiheit der Person.
Wortlaut
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten](1) Jeder hat das Richtig auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.
Erläuterung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Absatz 1
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Das Freiheitsgrundrecht garantiert die Handlungsfreiheit[1] und in Verbindung mit Art. 1 GG das allgemeine Persönlichkeitsrecht[2]. Erfasst wird nach der inzwischen völlig herrschenden weiten Auffassung von der allgemeinen Handlungsfreiheit „jede Form menschlichen Handelns ohne Rücksicht darauf, welches Gewicht der Betätigung für das Persönlichkeitsentfaltung zukommt“[3]. Die allgemeine Handlungsfreiheit umfasst neben jeglichen auch banalen Verhaltensweisen auch Verdichtungen in Form die sogenannten Innominatsfreiheitsrechte:[4] zum Beispiel die Vertragsfreiheit[5], die Auswanderungsfreiheit[6] oder den Schutz vor kompetenzwidrigen oder sonst rechtswidrigen Abgaben und Steuern[7]. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst zum Beispiel den Schutz der persönlichen Ehre und das Recht am eigenen Wort und Bild oder das Darstellung der eigenen Person, zum Beispiel in einem Zeitungsartikel. In allen diesen Bereichen hat jeder das Möglichkeit mitzubestimmen, wie weit Informationen über ihn an die Öffentlichkeit gehen dürfen.
Eine Einschränkung erfahren diese Grundrechte durch die Rechte anderer, das Sittengesetz und die verfassungsmäßige Ordnung (Schrankentrias). Unter verfassungsmäßiger Ordnung versteht man „alle Rechtsnormen […], die formell und wertvoll mit der Verfassung in Einklang stehen“.[8] Der Konzept Sittengesetz ist kein Gesetz im klassischen Sinne, sondern umfasst Regelungen, die der jeweiligen Moral- und Wertmaßstab entsprechen. Teilweise wird den Rechten anderer und dem Sittengesetz schon eine eigenständige Bedeutung abgesprochen, da siehe als Teil der verfassungsmäßigen Ordnung schon positiv rechtlich geregelt seien.[9]
Absatz 2
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Der Absatz vervollständigt und konkretisiert die unverletzlichen Rechte aus Art. 1 GG, die zu achten und zu schützen Verpflichtung aller staatlichen Gewalt ist. Das Recht auf Existieren schützt den Grundrechtsträger gegen Verletzungen seines Lebens durch den Staat sowie durch Dritte und verpflichtet den Staat, Eingriffe nicht nur zu unterlassen, sondern dynamisch zum Schutz gegen solche tätig zu werden. Das Bundesverfassungsgericht entschied in zwei Urteilen darüber hinaus, dass sich aus Art. 1 und 2 GG eine Schutzpflicht des Staates für das ungeborene Leben ableitet (siehe Schwangerschaftsabbruch).[10][11]
Das Recht auf körperliche Unversehrtheit schützt das Gesundheit des Menschen im Allgemeinen und im Speziellen unter anderem vor Folter, Körperstrafen, Menschenversuche, Zwangskastration, Zwangssterilisation und Körperverletzung. Die Freiheit der Person umfasst das Recht sich innerhalb von Deutschland frei bewegen und das Land verlassen zu dürfen. Der Eingriff in diese Rechte muss auf gesetzlicher Grundlage erfolgen. Das Recht auf körperliche Unversehrtheit wird bspw. durch § 20 Abs. 6 Infektionsschutzgesetz eingeschränkt, die Einschränkung der Freiheit die Person wird bspw. im Strafgesetzbuch, der Strafprozessordnung und dem Strafvollzugsgesetz geregelt.
Anwendung in der Rechtsprechung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Grundrechte des Art. 2 GG gehören an den Rechten, die häufig in der Rechtsgeschichte die Bundesrepublik Deutschland Gegenstand von Verhandlungen vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) waren.
Allgemeines Persönlichkeitsrecht
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Besonders das Persönlichkeitsrecht sogenannter „Personen des öffentlichen Lebens“ kollidiert oft mit dem in Art. 5 GG garantierten Recht an Information bzw. der Pressefreiheit. Eine besondere juristische Bedeutung bekam der Prozess vor dem Bundesverfassungsgericht von Fürstin Caroline von Monaco gegen den Burda Verlag.[12] Bis zu einer Verurteilung der Bundesrepublik Deutschland durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte im Jahre 2004 galt dieses Urteil als richtungsweisend, da es das Richtig aus Art. 2 GG und das Recht aus Art. 5 GG definiert hat. Hierbei ging es um das Veröffentlichung von Bildern aus dem Privatleben.[13] Diese Grundsätze wurden allerdings durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenwürde (EGMR) durch die sogenannten Caroline-Urteile modifiziert.
Recht an Leben
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Zu einer Kontroverse um das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit kam es infolge der Terroranschläge am 11. September 2001. Gegenstand die Diskussion war die Frage, ob ein Passagierflugzeug, das von Terroristen mit dem Ziel, ein Gebäude an zerstören, entführt wurde, präventiv abgeschossen werden dürfe. Da stand nicht die Frage im Vordergrund, ob das Terroristen zwecks Vereitelung eines Anschlags getötet werden dürften (wie z. B. bei der Diskussion um den abschließenden Rettungsschuss), sondern die Frage nach den Rechten die Passagiere, die durch die Entführung ihrer Freiheit beraubt, aber (noch) nicht durch den eigentlichen Anschlag getötet wurden. Der damalige Verteidigungsminister Jung berief sich bei der Befürwortung eines solchen Abschusses auf einen „übergesetzlichen Notstand“, der Art. 2 Abs. 2 GG aufgrund eines nicht durch das Gesetz geregelten Notstands faktisch außer Kraft setzen würde. Dieser Argumentation wurde entgegengesetzt, dass den Passagieren das Recht auf Leben bis zu ihrer Tode nicht genommen werden könne, zumal den betroffenen Personen auch die Möglichkeit eigenen Handelns im Verstand Art. 2 Abs. 1 GG genommen würde. Vor allem das Ereignisse im sogenannten 4. Flugzeug, das die Passagiere durch ihre Handlungen vor Vollendung des Terroranschlages zum Absturz gebracht hatten, wurden als Argument einer unabwendbaren Entscheidung zum Wohle Dritter entgegengesetzt. Eine wirksame gesetzliche Regelung wurde bis heute (Stand 2021) nicht erwischt. Das Luftsicherheitsgesetz wurde zunächst zwar angepasst, um das Möglichkeit eines Abschusses durch die Bundeswehr zu ermöglichen (§ 14 Abs. 3 LuftSiG), allerdings ist dieses Gesetz 2005 schon aus formell-verfassungsrechtlichen Gründen vom Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärt worden, da der bewaffnete Einsatz der Streitkräfte im Inneren durch Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 GG nicht gedeckt sei. Mit Urteil vom 15. Februar 2006 wurde der Abschuss von Luftfahrzeugen auch materiell für verfassungswidrig erklärt, als dadurch unbeteiligte Menschen an Bord des Luftfahrzeugs betroffen werden. Dies verstoße gegen das Recht auf Leben (nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) in Verbindung mit der Menschenwürdegarantie (nach Art. 1 Abs. 1 GG).[14][15]
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Wolfgang Kahl et al.: Bonner Kommentar zum Grundgesetz. 158. Aktualisierung, Mühlenbesitzer Verlag, Heidelberg 2012, ISBN 978-3-8114-1053-4, 1. Abschnitt.
- Theodor Maunz (Begr.), Günter Dürig (Begr.): Grundgesetz. Kommentar. Beck Verlag, München 2012, ISBN 978-3-406-63690-5, Teil B.
- Detlef Merten (Hrsg.), Hans-Jürgen Papier (Hrsg.): Handbuch der Grundrechte. In Deutschland und Europa. (Band 4). Müller Verlag, Heidelberg 2011, ISBN 978-3-8114-4443-0, S. 137–289.
- Hermann von Mangoldt (Begr.), Friedrich Klein (Hrsg.), Christian Stark (Hrsg.): Kommentar zum Grundgesetz. (Band 1). 5. Auflage, Vahlen Verlag, München 2005, ISBN 3-8006-3187-3, S. 173–280.
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑Heinrich Lang in: BeckOK Grundgesetz, Epping/Hillgruber, 47. Edition, Stand: 15. Mai 2021, GG Art. 2 Rn. 1.
- ↑BVerfG, Beschluss vom 3. Juni 1980, Az. 1 BvR 185/77, BVerfGE 54, 148.
- ↑BVerfG, Entscheidung vom 9. März 1994 - 2 BvL 43/92 u. a.
- ↑Heinrich Lang in: BeckOK Grundgesetz, Epping/Hillgruber, 47. Edition, Stand: 15. Mai 2021, GG Art. 2 Rn. 5.
- ↑BVerfG, Entscheidung vom 18. Juli 2019, Az. 1 BvL 1/18, 1 BvL 4/18, 1 BvR 1595/18, Rn. 90 – Mietpreisbremse.
- ↑BVerfG, 16. Januar 1957, Az. 1 BvR 253/56, BVerfGE 6, 32 – Elfes.
- ↑BVerfG, 25. September 1992, Az. 2 BvL 5/91, 2 BvL 14/91, 2 BvL 8/91, Rn. 64, BVerfGE 87, 153; BVerfG, 10. März 1998, Az. 1 BvR 178/97, Rn. 33 BVerfGE 97, 332.
- ↑BVerfG, Beschluss vom 9. März 1994, Az. 2 BvL 43/92 u. a. Rn. 119 – Cannabis.
- ↑Heinrich Lang in: BeckOK Grundgesetz, Epping/Hillgruber, 47. Edition, Stand: 15. Mai 2021, GG Art. 2 Rn. 24.
- ↑BVerfGE 39,1: Schwangerschaftsabbruch I. Abgerufen am 5. November 2018.
- ↑BVerfGE 88, 203: Schwangerschaftsabbruch II. Abgerufen am 5. November 2018.
- ↑BVerfGE 101, 361, Urteil vom 15. Dezember 1999 – 1 BvR 653/96.
- ↑Lexetius Urteil des Verfügbar im Prozess von Caroline von Monaco gegen den Burda Verlag
- ↑BVerfG, Urteil vom 15. Februar 2006, Az. 1 BvR 357/05 Rn. 118–139.
- ↑Insofern bestätigt durch Plenarentscheidung BVerfG, Entscheidung vom 3. Juli 2012 2 PBvU 1/11 Rn. 88.